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Die neue Nor­ma­li­tät am Stadt­rand


Text und Fotos: Living Cul­tu­re
Living Cul­tu­re besuch­te beim drit­ten Wien-Auf­ent­halt trotz Geschäfts­öff­nun­gen und schritt­wei­ser Rück­kehr zum Nor­mal­zu­stand Geheim­tipps „ab vom Schuss“.

Erst ein­mal vor­weg: Nicht jeder Wien-Auf­ent­halt dient dazu, auf­zu­zei­gen, inwie­weit sich Wien schon an die viel­zi­tier­te „neue Nor­ma­li­tät“, einen der Lieb­lings­aus­drü­cke des Herrn Bun­des­kanz­lers Sebas­ti­an Kurz, gewöhnt hat. Ende April bis Anfang Mai ging es für Living Cul­tu­re eher dar­um, ein paar ver­steck­te Grün­oa­sen für das wei­ter­hin zu prak­ti­zie­ren­de „phy­si­cal distancing“ in der Bun­des­haupt­stadt auf­zu­su­chen. Gera­de jetzt, wo lang­sam wie­der alles auf­sperrt, wenn auch unter stren­gen Auf­la­gen und unter Ein­hal­tung der Mas­ken­pflicht ins­be­son­de­re, jetzt ist es wich­tig, auch jene Orte zu suchen, wo das Abstand­hal­ten leicht­fällt.

Begin­nen wir nicht chro­no­lo­gisch, son­dern the­ma­tisch: Auf einen Tou­ris­tenhot­spot fiel dies­mal auch die Wahl. Schloss Schön­brunn, das oft als die meist­be­such­te Sehens­wür­dig­keit von ganz Öster­reich bezeich­net wird. Um genau zu sein, besuch­ten wir nicht das Schloss selbst, denn das ist nach wie vor geschlos­sen. Und auch nicht den gleich­na­mi­gen Tier­gar­ten, den ältes­ten noch bestehen­den Zoo der Welt, denn auch der ist nach wie vor zu. Son­dern den Schloss­park, einen jener rund um Ostern viel­zi­tier­ten Bun­des­gär­ten. Über die es ja eine regel­rech­te Polit­pos­se gab Anfang April, die von vie­len als vor­ge­zo­ge­ner Wahl­kampf für den Urnen­gang in der Bun­des­haupt­stadt am 11. Okto­ber betrach­tet wur­de. Wer genau­er die­se Dis­kus­si­on nach­le­sen will, wird auf unse­ren letz­ten Wien-Text ver­wie­sen. Jetzt sei nur so viel erwähnt: Am Diens­tag nach Ostern, 14. April, öff­ne­te auch der Schön­brun­ner Schloss­park unter bestimm­ten Sicher­heits­auf­la­gen sei­ne Pfor­ten nach der coro­nabe­ding­ten Schlie­ßung von zir­ka einem Monat. Von Secu­ri­tys merkt man hier nichts; die vie­len Bän­ke auf der Allee, die im Nord­west­teil des Parks vom Ein­gang am Beginn der Hiet­zin­ger Haupt­stra­ße bis zum Schloss führt, sind fast alle leer. Auch ich fin­de ganz nahe am Schloss, etwas abseits die­ser lan­gen Allee, locker eine freie Bank. Frei­lich, es ist schon 18:30 Uhr und an einem Wochen­tag. Den­noch tum­melt sich nor­mal viel mehr hier. Denn man darf nicht ver­ges­sen, auch wenn der Park schon wie­der offen ist und es hier­zu­lan­de erlaubt ist, fri­sche Luft zu schnap­pen (es war der letz­te Tag der viel­zi­tier­ten Aus­gangs­be­schrän­kun­gen), die Gren­zen sind nach wie vor dicht. Und die Tou­ris­ten, die einen Gut­teil der Park­be­su­cher in Nicht-Coro­na-Zei­ten aus­ma­chen, feh­len. Alles in allem viel mehr Platz und alles viel ruhi­ger als sonst, hier in die­sem wun­der­schö­nen Bun­des­gar­ten im drei­zehn­ten Wie­ner Gemein­de­be­zirk.

Ein wenig bekann­ter Geheim­tipp ist ein Weg im eben­falls sehr länd­lich anmu­ten­den 19. Bezirk. Der nach der Kam­mer­schau­spie­le­rin Pau­la Wes­se­ly benann­te Steig führt vom Zen­trum des Dor­fes Grin­zing, einem Teil des 19. Bezirks Döb­ling, berg­auf fast ganz hin­auf bis zur Anhö­he Cobenzl, von wo man einen wun­der­schö­nen Blick auf die Bun­des­haupt­stadt hat. Dort, am Fuße von Kah­len­berg, Leo­polds­berg und der höchs­ten Erhe­bung auf Wie­ner Stadt­ge­biet namens Her­manns­ko­gel, kann man die Son­ne genie­ßen und wird in jedem Fall für den zir­ka drei­ßig Minu­ten berg­auf füh­ren­den Marsch belohnt. Das Beson­de­re ist nicht nur der länd­lich anmu­ten­de Bach, der neben dem Steig fließt, son­dern auch die Wein­re­ben, an denen man ent­lang geht. Eng ange­legt, zwi­schen Bach­bett und Wein­stö­cken, ist der Pau­la-Wes­se­ly-Weg. Hier wird einem ein­mal mehr das länd­li­che Flair bestimm­ter Wie­ner Bezir­ke bewusst und eben auch, war­um Wien die ein­zi­ge Haupt­stadt der Welt welt­weit ist, die ein eige­nes Wein­an­bau­ge­biet hat. Wo? In Grin­zing oder nahe davon. Es gibt dann am obe­ren Ende des Weges auch zwei Hin­weis­schil­der zu Schmet­ter­lin­gen, doch spon­tan sehen wir kei­ne. Und natür­lich ist auch die­ser Weg ziem­lich fre­quen­tiert, aber nicht so, dass Abstand­hal­ten unmög­lich ist. In jedem Fall ist er ein Geheim­tipp für all jene, die das ande­re Wien ein biss­chen erle­ben wol­len.

Last but not least wol­len wir noch einen Ein­blick geben in jenes gro­ße Are­al am Stadt­rand, wie­der im 13. Bezirk, wel­ches sich wie kein ande­res zum Social Distancing eig­net. Da stö­ren kei­ne schnel­len Rad­ler oder Moun­tain­bi­ker das Bild, da fin­det man auch nie­man­den zum Gas­si­ge­hen oder Spa­zie­ren mit dem bel­len­den Haus­tier. Denn sowohl Hun­de als auch Fahr­rä­der sind im Lain­zer Tier­gar­ten ver­bo­ten, um nicht das Wild­tier auf­zu­scheu­chen. Und dem­entspre­chend sieht man hier am west­li­chen Stadt­rand von Wien und in einem Teil des Wie­ner­walds, nur Jog­ger, Spa­zier­gän­ger und Fami­li­en mit Kin­dern. Beson­ders beliebt: Die für Franz Joseph und Sis­si erbau­te Vil­la Wald­ruh, die wegen der Göt­ter­bo­ten-Sta­tue im Gar­ten spä­ter in Her­mes­vil­la umbe­nannt wur­de — Auch wenn sie kei­nes­wegs an einen grie­chi­schen oder römi­schen Tem­pel im Stil der Anti­ke erin­nert. Sowohl das Muse­um als auch die angren­zen­de Gast­stät­te sind noch immer geschlos­sen, und den­noch tum­meln sich vie­le aus­ge­las­se­ne jun­ge Spröss­lin­ge vor der Vil­la am Staats­fei­er­tag 1. Mai. Kein Wun­der, das Wet­ter ist präch­tig und das Are­al rund um die Her­mes­vil­la auch nur in zir­ka 15 Geh­mi­nu­ten ent­we­der vom Lain­zer Tor oder vom St. Vei­ter Tor zu errei­chen.

Wesent­lich weni­ger los ist da schon am ober­halb gele­ge­nen Gast­haus Rohr­haus, das coro­nabe­dingt genau­so geschlos­sen ist. Um dort­hin zu gelan­gen, muss man ent­we­der von Nord oder von Süd einen stei­len Anstieg bewäl­ti­gen. Schon allein aus die­sem Grund ist dort am 1. Mai bei wei­tem nicht so viel Tru­bel wie rund um die Her­mes­vil­la.

Ruhig ist es vor der Göt­ter­bo­ten­sta­tue auch zwei Tage vor­her, am 29. April. Ein Mitt­woch, für den Regen vor­aus­ge­sagt wur­de und an dem es auch nach Regen aus­sieht, aber an dem letzt­end­lich kein Regen fällt. Im Wet­ter­be­richt am Abend danach ist von 0 mm in Wien die Rede. Ein ein­deu­ti­ger Beweis trotz ent­spre­chend gegen­tei­li­ger Vor­her­sa­gen. Die­se Vor­her­sa­gen zusam­men mit der Situa­ti­on Werk­tag und dem feucht-küh­len Wet­ter machen den Lain­zer Tier­gar­ten am 29. April zu einem kaum bevöl­ker­ten, weit­läu­fi­gen Are­al. Vor dem ein­zi­gen in Nie­der­ös­ter­reich gele­ge­nen Tor, dem Laaber Tor, kann man nicht par­ken, son­dern nur etwas wei­ter unter­halb, im Dorf Laab im Wal­de. Unser Auto ist das ein­zi­ge „aus­wär­ti­ge Fahr­zeug“. Bei den ande­ren Toren des Lain­zer Tier­gar­tens, alle übri­gen fünf auf Wie­ner Stadt­ge­biet, sind stets auch Park­plät­ze direkt davor, für erho­lungs­su­chen­de Städ­ter. Doch hier in Laab im Wal­de in Nie­der­ös­ter­reich, wo es auch ein Reha-Zen­trum der PVA gibt, ist Stil­le Trumpf. Ein Hund jen­seits des Zauns bei einem Wohn­haus, dort wo unser Auto parkt. Hier ist kaum was los. An die­sem Tag mit unsi­che­rer Wet­ter­la­ge jedoch noch weni­ger. Nach dem Durch­schrei­ten des Laaber Tors geht es zu einem Acker, der erst neu ein­ge­glie­dert wur­de, in den Lain­zer Tier­gar­ten. Dann folgt das Dia­na­tor, wo einst der Lain­zer Tier­gar­ten begann. Die Mau­er beginnt heu­te noch genau dort. Da geht es genau jene Mau­er ent­lang, vor­bei an der Abzwei­gung zum Güten­bacht­or im 23. Bezirk Lie­sing, bis zur Her­mes­vil­la. Gut eine Stun­de Fuß­marsch. Nur ver­ein­zelt Per­so­nen. Nie­mand will vom Regen über­rascht wer­den. Und auch kaum steil, denn die Hügel im Lain­zer Tier­gar­ten wer­den auf die­sem Weg geschickt umgan­gen. Bei der Her­mes­vil­la machen wir eine län­ge­re Pau­se, dann geht es retour. Aber die Abge­schie­den­heit und Ruhe, die macht nicht Pau­se. Sie beglei­tet uns auf unse­rer gesam­ten Tier­gar­ten­tour.

Zwei Tage dar­auf, am 1. Mai, ist das ein biss­chen anders. Ende der Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und am Nor­den­de, nur unweit der A1-Auf­fahrt Wien-Auhof, das Pul­ver­stampf­tor. Auf der ande­ren Sei­te des Tores spielt eine klei­ne Män­ner­grup­pe Schach und trinkt Wein. Und zwar sowohl als wir dort um 16 Uhr ankom­men als auch bei unse­rer Rück­kehr um zir­ka 19 Uhr 40. Dazwi­schen liegt so eini­ges für uns. Zunächst eine lan­ge, roman­ti­sche Asphalt­al­lee an der Tier­gar­ten­mau­er und spä­ter ins Tier­gar­ten­in­ne­re an einem Bach ent­lang. Kaum Abzwei­gun­gen und irgend­wie schaut hier alles gleich aus. War es die ers­ten Kilo­me­ter noch eben, so liegt kurz vor dem schon erwähn­ten Wirts­haus Rohr­haus noch ein län­ge­rer stei­ler Anstieg vor uns. Kaum dort oben ange­langt, sagen wir uns: Hier wäre wohl kein sol­cher Dorn­rös­chen­schlaf, hät­te das Rohr­haus geöff­net. Vor der Her­mes­vil­la hin­ge­gen, zu der wir nach dem Abstieg gelan­gen, ist auch am 1. Mai trotz Schlie­ßung aller Restau­rants das wie­der­erwa­chen­de pure Leben. Kin­der toben, jubeln. Wir erbli­cken dort in der Nähe noch ein Wohn­haus für Arbei­ter im Tier­gar­ten. Und keh­ren zum Rohr­haus zurück, immer zügig berg­auf geht es dort­hin auch von der Süd­sei­te. Denn die Her­mes­vil­la konn­ten wir bekannt­lich schon zwei Tage vor­her genie­ßen, mit weni­ger Per­so­nen, also mehr Ruhe, aber auch etwas fins­te­re­rem Wet­ter. Und vom Rohr­haus selbst soll­te der Abstieg noch weit län­ger sein. Denn irgend­wie gera­ten wir nach dem lan­gen, schnur­ge­ra­den Berg­ab­stück, an der Weg­kreu­zung fast bis zum Niko­lai­tor im Nord­os­ten — nach­dem der Weg in die­sel­be Him­mels­rich­tung, näm­lich Nord­ost, führt, und zudem fast gleich aus­sieht wie der Weg zum Pul­ver­stampf­tor, mer­ken wir erst nach etwa andert­halb Kilo­me­tern, dass wir uns ver­gan­gen haben. Vor dem Niko­lai­tor kann man sich für eine von zwei Geh­va­ri­an­ten ent­schei­den. Da erken­nen wir erst, dass wir falsch sind. Nun müs­sen wir uns schon beei­len, denn die Son­ne geht lang­sam unter und der Tier­gar­ten schließt um 20 Uhr 30. Noch ist genug Zeit, es ist erst kurz nach 19 Uhr. Doch wir müs­sen einen Zahn zule­gen. Wir schaf­fen es schließ­lich eben bis 19 Uhr 40 zir­ka hin­aus aus dem Tier­gar­ten­are­al.

Die Ein­tö­nig­keit, die nahe­zu hyp­no­ti­sie­ren­de Mono­to­nie der Wege in die­sem Nord-Teil des Lain­zer Tier­gar­tens, hat ihr Für und Wider. Nicht so pri­ckelnd ist sicher, dass man die Wege oft nicht so leicht von­ein­an­der unter­schei­den kann und eben nur bei einer der hier rar gesä­ten Abzwei­gun­gen merkt, wo man ist, bezie­hungs­wei­se mer­ken kann, wenn man falsch ist. Denn man wird nicht im Glau­ben, sich sicher zu sein, wo man gera­de ist, dann aufs Han­dy schau­en und die Ortung akti­vie­ren. Und die­se lan­ge Mono­to­nie, ein Bach, eine Allee, eine leicht anstei­gen­den bezie­hungs­wei­se abfal­len­de Asphalt­stra­ße hat man nörd­lich des Rohr­hau­ses sowohl in Rich­tung Niko­lai­tor als auch in Rich­tung Pul­ver­stampf­tor. Wie sagt man so schön, es zieht sich da raus. Es ist reiz­voll und hyp­no­ti­sie­rend zugleich. Auch das macht die Fas­zi­na­ti­on des Lain­zer Tier­gar­tens aus. Die Weit­läu­fig­keit, die Unend­lich­keit und eben die­se ziem­li­che Ein­tö­nig­keit. Das ist schön und doch auch manch­mal nach­tei­lig zugleich. Nach unse­rem Ver­se­hen gehen wir die­ses klei­ne Risi­ko ein und beei­len uns. Und spü­ren, auch wegen des schnel­len Gehens, den Asphalt unter den Soh­len. Die­se End­lo­sig­keit des Weges zum Pul­ver­stampf­tor. Dann end­lich die Mau­er. Wir machen uns Gedan­ken, wie man da rüber­kommt. Wir mer­ken auch, jen­seits der Mau­er ist Leben. Kir­chen­glo­cken, die Auto­bahn, wir sind zurück. Und den­noch müs­sen wir nicht vom Rat­schlag Gebrauch machen, den man im Inter­net fin­det: „Was tun, wenn das Tor zu ist im Lain­zer Tier­gar­ten? Über die Mau­er klet­tern oder die Poli­zei rufen.“

Es geht vor­bei an den zwei noch nicht erwähn­ten Wild­schwein­sta­tu­en. Und es geht vor­bei auch an den unend­li­chen Schach­spie­lern gleich beim Pul­ver­stampf­tor. Zuvor haben wir auch noch Pick­ni­cker gese­hen, die sich wohl noch mehr als wir dann beei­len müs­sen, um es bis zur Schlie­ßung um 20 Uhr 30 aus dem Tor zu schaf­fen. Den Asphalt unter den Soh­len und in den Bei­nen. Auch am 1. Mai ist hier wenig los gewe­sen. Und Phy­si­cal Distancing wird gera­de hier im Nor­den des Lain­zer Tier­gar­tens kein Pro­blem sein. Denn zu abge­schie­den und ein­tö­nig ist die­ser nörd­li­che Teil des Are­als. Wen es dort­hin ver­schlägt, wird belohnt und trotz Auf­he­bung der Aus­gangs­sper­re bekannt­lich sich wohl­füh­len, denn Phy­si­cal Distancing at its best ist auch nach wie vor sinn­voll und ide­al. Auch an einem Fei­er­tag, wie dem 1. Mai, wenn trotz Restau­rant­sper­re rund um die Her­mes­vil­la der Bär los ist, ist hier alles frei und weit­läu­fig. Ein Geheim­tipp also auch das Pul­ver­stampf­tor im Nor­den von Wien. So wie natür­lich der gesam­te Lain­zer Tier­gar­ten.

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