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Der Käfer


Text: Sarah­Fee; Fotos: Sarah Rit­ter
Sarah­Fee lebt, schreibt und fährt Fahr­rad in Pots­dam. Der von Franz Kaf­kas „Ver­wand­lung“ inspi­rier­te Text ist ihr lite­ra­ri­sches Debüt. Die Autorin zögert noch, ihr ste­tig wach­sen­des lite­ra­ri­sches Werk einer brei­ten Öffent­lich­keit zukom­men zu las­sen und war­tet auch auf die Ver­wand­lung.

Dort auf dem Vogel­haus, am Dach, lief ein Käfer, als wäre er gera­de erst erwacht. Er kam gera­de­wegs aus dem Vogel­haus und hat­te es nicht eilig, obwohl er wahr­schein­lich dem Vogel aus dem Schna­bel gefal­len war. Als sei es ihm egal, wie­der ein­ge­fan­gen zu wer­den, spa­zier­te er ein­fach, als wäre nichts pas­siert. Als sei es nur ein Traum, als Beu­te fast ver­schlun­gen wor­den zu sein. Und nun mach­te er einen Spa­zier­gang, um sich von all­dem zu erho­len. Er sorg­te sich nicht sei­nes Lebens, das er schon fast ver­lo­ren hat­te; wahr­schein­lich sind Käfer sehr ver­gess­lich.

Glück war wohl auch nicht im Spiel, ein­fach nur eine Tat­sa­che, von der nie­mand Notiz nahm, nicht der Vogel, auch nicht der Käfer. So war es wohl, ent­we­der wirst du gefres­sen oder nicht, und alles geht wei­ter wie bis­her. Ob jetzt ein Käfer weni­ger oder mehr, war für die Sum­me völ­lig unbe­deu­tend, fiel nicht ins Gewicht. Es kann­te ihn kei­ner und es will ihn auch kei­ner ken­nen­ler­nen, man macht sich nicht mit Käfern bekannt. Dem Käfer ward es einer­lei, es ist nicht vor­ge­se­hen, im Käfer­le­ben nach mehr zu stre­ben, nie­mals wür­de ein Käfer einen intel­li­gen­ten Gedan­ken hegen, er folgt nur einer Spur und hin­ter­ließ kei­ne Spu­ren.

Wie ein Ein­bre­cher in der Nacht und ver­hält sich, als wäre er Zuhau­se. Ist er erst mal im Haus, kennt er sich gut aus, doch hin­aus fin­det er nicht von allein. Manch­mal stirbt er am Bett­pfos­ten, unterm Sofa­kis­sen oder auf dem Fern­se­her, doch meist wird er hin­aus­be­för­dert oder irgend­wo hin­ein­ge­saugt. So ein Käfer­le­ben hat schon sei­ne Tücken, es sind ihm nur nie irgend­wel­che Begren­zun­gen gesetzt, er umläuft sie ein­fach alle, und egal wie oft er den­sel­ben Weg dabei nimmt, er wird es nie müde, einen Aus­weg zu fin­den oder als Beu­te zu enden, es scheint für ihn das­sel­be, Mis­si­on erfolg­reich.

Dar­um hat er auch jetzt auf dem Vogel­häus­chen kei­ne Eile, außer­dem feh­len ihm zwei Bein­chen. Wür­de er jetzt anfan­gen zu den­ken, dann wür­de er sich wohl Vor­wür­fe machen, nicht gut genug zu sein, sodass man ihn nicht zum Fres­sen gern hät­te. Nicht mal vom Vogel­häus­chen kann er sich hin­un­ter­stür­zen, denn ach, er kann ja flie­gen. Was, wenn er ein­fach sei­ne Flü­gel nicht benutz­te, doch es geht nicht anders, sie öff­nen sich wie auf Kom­man­do. Viel­leicht erwisch­te es ihm ja im Flu­ge erneut, und es hat end­lich ein Ende, das Käfer­le­ben.

Er war dem Vogel ein­fach aus dem Schna­bel gefal­len oder hat­te der Vogel ihn etwa aus­ge­spuckt, wohl zu häss­lich, dabei wäre es den hung­ri­gen Küken doch egal gewe­sen, die schau­en eben nicht, ob ihr Essen schön sei. Was war er denn über­haupt für ein Käfer, etwa gif­tig? Es konn­te sich hier doch nur um einen Irr­tum han­deln, geht es doch immer nur ums Fres­sen und Gefres­sen­wer­den, und war­um soll­te aus­ge­rech­net er unge­nieß­bar sein, für was und für wen? Könn­te es denn sein, dass er am Anfang der Nah­rungs­ket­te stand?

Ein den­ken­der Käfer macht es jetzt auch nicht bes­ser, das muss schon die Evo­lu­ti­on gewusst haben, wenn die erst die Welt­herr­schaft an sich ris­sen, wäre die Welt nur eine ordi­nä­re Mist­ku­gel und rat­ze­kahl gefres­sen. So ist es doch bes­ser, wenn sie Käfer blie­ben ohne jedes Denk­ver­mö­gen, sich auch gar nicht dar­an stö­ren, gefres­sen zu wer­den, oder auf einem Vogel­haus zu sit­zen mit zu wenig Bein­chen, man gibt dem am bes­ten kei­ner­lei Auf­merk­sam­keit. Man ruft auch kei­nen Kran­ken­wa­gen, man wür­de auch ziem­lich komisch ange­se­hen, rie­fe man wegen eines Käfers einen Kran­ken­trans­port.

Selbst der Tier­arzt wür­de stau­nen, ist er gar nicht aus­ge­bil­det für Käfer, und wie soll­te er ihm die Bein­chen über­haupt wie­der anschrau­ben? Da bräuch­te man wohl bes­ser einen Uhr­ma­cher, doch auch der zeig­te einem, wie alle ande­ren, einen Vogel, und kei­ner wür­de den Käfer fres­sen wol­len. Der Käfer wun­der­te sich über all die­se Vögel, sie woll­ten ihn weder ver­spei­sen noch hei­len. Es muss­te doch einen Vogel geben, der ihn moch­te, auch mit nur vier Bein­chen. Das kann ja dann nur noch ein Kuckuck sein, wenn er Glück hat, war das Vogel­häus­chen eine Kuckucks­uhr.

Doch was nutz­te es ihm am Ende, der Kuckuck wäre ja nicht echt, trotz­dem war­te­te der Käfer bei jeder vol­len Stun­de, ob der ech­te Kuckuck raus­guck­te. Dem Käfer war die Zeit eigent­lich egal, wür­de er sich erst für sie inter­es­sie­ren, müss­te er sich fra­gen, wie wenig Zeit er doch hat­te. Er woll­te dar­um unbe­dingt noch ein Lecker­bis­sen wer­den, kom­me was wol­le, er woll­te es schaf­fen und bis dahin woll­te er sich von nie­man­den mehr fres­sen las­sen. Die Zeit muss­te ihm wohl wohl­ge­son­nen sein, sonst hät­te sie ihn nicht auf­ge­fan­gen und woll­te ihm nie mehr den Vogel zei­gen, end­lich wur­de er ernst genom­men.

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