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Der Schein trügt — Bun­des­kon­gress Die Grü­nen 29.06.2025


Text und Fotos (sofern nicht anders ange­ge­ben): Lukas Wogrol­ly / Living Cul­tu­re
Ja, der Schein trügt. Die Mes­se Wien als Aus­tra­gungs­ort für den his­to­ri­schen 47. Grü­nen Bun­des­kon­gress am 29.06.2025 war zwar von außen recht ansehn­lich, innen jedoch kein Ver­gleich zum Schau­platz der meis­ten vor­he­ri­gen Bun­des­kon­gres­se. Im Gegen­satz zu den Freu­den­sze­nen, die sich dann dort trotz der etwas ver­wir­ren­den und weit­läu­fi­gen Loca­ti­on abspie­len soll­ten.

Rück­blen­de: Bun­des­kon­gress 2021 im Lin­zer Design Cen­ter mit den Coro­na-Mas­ken. Ein gro­ßer, von außen licht­durch­flu­te­ter Raum als Büh­ne für das höchs­te Grü­ne Gre­mi­um. Rück­blen­de auch auf 2019. Die Grü­nen in außer­par­la­men­ta­ri­scher Oppo­si­ti­on, wäh­len ihre Lis­ten für die erfolg­rei­che EU-Wahl und die eben­so erfolg­rei­che Natio­nal­rats­wahl. Sowie auf 2024. Am 22. Juni 2024, nur einen Tag nach dem his­to­ri­schen Sieg Öster­reichs bei der Fuß­ball-EM gegen Polen, ist, wie schon 2019, die Expe­dit­hal­le der Anker­brot­fa­brik in Wien-Favo­ri­ten Schau­platz des bis­her letz­ten Grü­nen Bun­des­kon­gres­ses. Auch damals wird eine Lis­te gewählt, für die Natio­nal­rats­wahl im Herbst. Nun frei­lich nicht mehr in außer­par­la­men­ta­ri­scher Oppo­si­ti­on wie einst 2019, als hier gleich zwei­mal der Grü­ne Bun­des­kon­gress tag­te, son­dern mit­ten in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung. Für die die Par­tei  im ver­gan­ge­nen Jahr sozu­sa­gen bei den bei­den bun­des­wei­ten Wah­len sprich­wört­lich „die Zeche zahl­te“, doch das ist jetzt nicht Gegen­stand die­ses Tex­tes. Zurück zur Loca­ti­on: Auch die Expe­dit­hal­le der Anker­brot­fa­brik im 10. Wie­ner Gemein­de­be­zirk bie­tet eine rie­si­ge, licht­durch­flu­te­te Hal­le mit einer Büh­ne und den zahl­rei­chen Ses­sel­rei­hen für das höchs­te Grü­ne Gre­mi­um. Eine Atmo­sphä­re ähn­lich wie im Par­la­ment.

Am 29. Juni 2025 in der Mes­se Wien, ist jedoch alles anders. Nach dem Ein­gang wird man recht gut gelotst durch ein Laby­rinth von halb­lee­ren Räu­men. Hin­weis­schil­der sind plat­ziert. Doch hat man hat das Gefühl, allein in einer frem­den Stadt zu sein. Denn nach dem Ein­gangs­be­reich, von wo aus es zu Toi­let­ten im Unter­ge­schoss geht, betritt man ein, zwei rie­si­ge, jedoch weit­ge­hend kah­le Räu­me. Eine grü­ne Wand für Inter­views und Fotos, und Buf­fet bezie­hungs­wei­se Cate­ring des Hof­zu­cker­bä­ckers Gerst­ner sind hier an den extre­men Sei­ten. Dazu Steh­ti­sche, Sitz­ti­sche mit Ses­seln, und nicht viel mehr. Die Dimen­sio­nen des kah­len Rau­mes erschei­nen über­pro­por­tio­nal, und man fragt sich: Fin­det hier, in die­sen rie­si­gen, halb­lee­ren Räu­men, tat­säch­lich der Grü­ne Bun­des­kon­gress statt?

Die Ant­wort ist Nein. Denn nach dem Durch­que­ren des Rau­mes betritt man auf der ande­ren Sei­te einen etwas schmä­le­ren Gang und gelangt zum eigent­li­chen „Semi­nar­raum“. Abge­dun­kelt, die Sitz­rei­hen und die Büh­ne dicht an dicht, und auch mein Platz rela­tiv beengt inmit­ten einer gro­ßen Tisch­rei­he. Ver­win­kelt. Ein biss­chen so, als wäre man Teil eines rie­si­gen Kom­ple­xes und hät­te nur einen klei­nen Spot zur Ver­fü­gung. Und das Motiv, wegen der Hit­ze in einem kom­plett abge­dun­kel­ten Bereich zu sein, las­se ich so nicht gel­ten. Denn auch vor 1 Jahr, in der ange­neh­men, ein­la­den­den weil licht­durch­flu­te­ten Atmo­sphä­re der Expe­dit­hal­le, schrie­ben wir den 22. Juni. Und bei einem der bei­den Bun­des­kon­gres­se 2019 gar den 6. Juli. Ich bin also ent­täuscht von der Loca­ti­on. Toi­let­ten gibt es neben jener im 1. Unter­ge­schoß des Ein­gangs­be­rei­ches auch hier zwei wei­te­re eben­erdi­ge in den Sei­ten­gän­gen. Dann ent­de­cke ich auf Distanz auch die zukünf­ti­ge neue Grü­ne Bun­des­spre­che­rin Leo­no­re Gewess­ler.

Erstaun­lich, aber wahr: Die Stim­mung bei die­sem his­to­ri­schen Bun­des­kon­gress spie­gelt mit­nich­ten die ent­täu­schen­de, nahe­zu beklem­mend-bedrü­cken­de Atmo­sphä­re der Loca­ti­on wider.

Ers­ter Red­ner ist Wolf­gang Raback, lang­jäh­ri­ger Finanz­re­fe­rent der Grü­nen Bun­des­par­tei aus Sei­ers­berg bei Graz, wo er zusam­men mit sei­ner Frau bei der letz­ten Gemein­de­rats­wahl kan­di­dier­te. Er hat­te sich jah­re­lang um die Finan­zen der Grü­nen Bun­des­par­tei geküm­mert, auch sogar einst in den Zei­ten der außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on. Und er war es auch, der mir schon von lan­ger Hand den Ter­min des Bun­des­kon­gres­ses genannt hat­te. Dan­ke, lie­ber Wolf­gang, heißt es an die­sem Sonn­tag auch von Sei­ten der Grü­nen Basis. Denn Wolf­gang Raback über­gibt das Amt an sei­nen Nach­fol­ger, den Bezirks­vor­ste­her-Stell­ver­tre­ter des gast­ge­ben­den Zwei­ten Bezirks – denn die Mes­se Wien liegt am Ran­de des Wursch­tel­pra­ters eben­dort – Bern­hard Seitz. Über Seitz  wur­de bereits berich­tet, und zwar hier im Rah­men der Bericht­erstat­tung zur Wien-Wahl am 27. April des heu­ri­gen Jah­res.
Stich­wort Staf­fel­über­ga­be. Ein neu­er Bun­des­vor­stand wird gewählt, doch was natür­lich ins Auge sticht, ange­sichts kei­ner bevor­ste­hen­den bun­des­wei­ten Wahl und somit auch kei­ner Not­wen­dig­keit einer Lis­ten­er­stel­lung, ist der Wech­sel an der Bun­des­spit­ze. Nach mehr als sechs­ein­halb Jah­ren über­gibt das Grü­ne „Urge­stein“ Wer­ner Kog­ler aus St. Johann in der Hai­de im Bezirk Hart­berg-Fürs­ten­feld in der Ost­stei­er­mark die Par­tei­füh­rung an sei­ne stei­ri­sche Lands­frau aus St. Marein bei Graz im Bezirk Graz-Umge­bung – Leo­no­re Gewess­ler.

Gewess­ler über­nimmt die Grü­nen als neue Bun­des­spre­che­rin, nach­dem sie wie Wer­ner Kog­ler und auch ihre Kol­le­gin Alma Zadic, zusam­men mit der ÖVP in der abge­lau­fe­nen Legis­la­tur­pe­ri­ode die Repu­blik als Minis­te­rin durch Coro­na-Kri­se oder Ukrai­ne-Kri­se geführt hat­te. Zwar erfolg­reich durch vie­le Kri­sen führ­te, aber genau­so in eine wei­te­re mün­de­te, die uns noch jah­re­lang beglei­ten wird: die Finanz­kri­se. Hier nur noch so viel: klar ist, es muss gespart wer­den. Dar­über ist man sich einig. Doch wo gespart wer­den soll, dar­über schei­den sich die Geis­ter. Die Regie­rung, bestehend aus ÖVP, SPÖ und NEOS, hat einen kon­kre­ten Plan. Die Oppo­si­ti­on, bestehend aus FPÖ und Grü­nen, zum Teil gänz­lich ande­re.

Leo­no­re Gewess­ler kann das Finanz­the­ma in ihrer ein­stün­di­gen Bewer­bungs­re­de nur strei­fen. Erklärt, in wel­chen Berei­chen die Regie­rungs­par­tei­en spa­ren und wo sie es hin­ge­gen tun wür­de. Am ein­drucks­volls­ten der von ihr in ihrer ein­stün­di­gen Bewer­bungs­re­de erwähn­ten Bei­spie­le ist wohl der Vor­wurf an die Grü­nen, der auch von ihren Geg­nern immer wie­der ins Spiel gebracht wird, man müs­se eine per­fek­te Lebens­wei­se an den Tag legen, um ihrem Ide­al­bild zu ent­spre­chen. Dabei sei sie das nicht mal selbst, sinn­ge­mäß inter­pre­tiert. War­um: Obwohl sie in Wien lebt und, wie der Autor des Tex­tes meint, eigent­lich von dem von ihrer Par­tei­kol­le­gin Maria Vas­sila­kou einst ein­ge­führ­ten 365-Euro-Öffi-Jah­res­ti­cket pro­fi­tie­ren soll­te, ganz zu schwei­gen von dem von ihr selbst als Minis­te­rin ein­ge­führ­ten Kli­ma­ti­cket, befin­det sich, wie sie selbst berich­tet in ihrer Rede, in ihrem Haus in Wien-Otta­kring ein Auto. Also, wie ich hin­zu­fü­gend bemer­ke, in genau jener Gemein­de Öster­reichs, in der mehr Wege mit den Öffis als mit dem eige­nen Auto zurück­ge­legt wer­den. Und ihren Ehe­mann, den sie in ihrer Rede, wenn auch nie nament­lich, auch immer wie­der erwähnt, vor allem, dass er in der zwei­ten Rei­he hier beim Bun­des­kon­gress säße, habe sie, wie sie in ihrer Rede ein­drucks­voll berich­tet, im Flug­zeug ken­nen­ge­lernt. Viel­leicht haben aber genau die­se Umstän­de sie so weit gebracht, in ihrer bis­he­ri­gen Grü­nen Poli­ti­ke­rin­nen­kar­rie­re der­art radi­kal im Bereich Umwelt- und Kli­ma­po­li­tik zu wir­ken, dass es fast nur mehr Men­schen gibt, die sie ent­we­der lie­ben oder has­sen. Genau das wird näm­lich eine Auf­ga­be für sie in ihrer Funk­ti­ons­pe­ri­ode in den nächs­ten drei Jah­ren sein: Sich brei­ter zu öff­nen auch für mehr The­men als nur für jene, für die sie als Minis­te­rin ver­ant­wort­lich war. Nicht zuletzt bezeich­net sie ihre nun neue Rol­le als Par­tei­che­fin als grö­ße­re Her­aus­for­de­rung als das Amt der Minis­te­rin, das sie über fünf Jah­re lang inne­ge­habt hat­te. Und wird über­zeu­gend mit 96,76 % und kei­ner ein­zi­gen kri­ti­schen Stim­me von den über 200 Dele­gier­ten gewählt.

Dann herrscht nur mehr Frie­de, Freu­de und kein Eier­ku­chen: Denn bei Gerst­ner gibt es drau­ßen ande­re Spe­zia­li­tä­ten; Ome­lett bezie­hungs­wei­se Eier­ku­chen gehört nicht dazu.

Wer­ner Kog­ler hält sei­ne Abschieds­re­de, es gibt Blu­men und die per­fek­te Insze­nie­rung täuscht ein­deu­tig dar­über hin­weg: dass die Loca­ti­on alles ande­re als ein­la­dend ist, vor allem im Ver­gleich zur Expe­dit­hal­le. Bli­cken wir nichts­des­to­trotz opti­mis­tisch in die Zukunft, wie es die Grü­nen unter ihrer Bun­des­spre­che­rin Leo­no­re Gewess­ler tun.

Die neue Bun­des­spre­che­rin der Grü­nen, Leo­no­re Gewess­ler, gut zwei Wochen vor ihrer Wahl am Bun­des­kon­gress in Wien. St. Johann ob Hohen­burg, Kir­chen­wirt Stadt­eg­ger, West­stei­er­mark.